Ein Fazit

Zehn Jahre legales Cannabis in Colorado.

Ein Cannabis-Shop in Colorado

Nirgendwo wächst Cannabis 

so gut wie im San Luis Valley. Davon ist zumindest Mike Biggio überzeugt, der vor sieben Jahren in das hochalpine Tal zwischen Denver und Santa Fe kam und Land kaufte. Viel Land.
In dem 120 Seelen-Nest Moffat erwarb er 2018 zusammen mit einem Partner aus der Bauindustrie eine Fläche, die so groß ist wie 420 Fußballfelder. Diese teilte Biggio in Parzellen, die er für je eine Viertelmillion Dollar an unabhängige Marihuana-Unternehmer verkaufte.
Die bauen eine Cannabis-Sorte an, die sonst vor allem am Fuße des Hindukusch in Afghanistan prächtig gedeiht. Profis schätzen sie als „Indica Kush“ oder „Kush“, wie die Hippies sie liebevoll tauften.
Wie Biiggio der örtlichen „Colorado Sun“ anvertraute, die ausführlich über den Cannabis-Visionär und sein Kollektiv „Area 420“ berichtete, gibt es neben gemeinsamen Einrichtungen, in denen Joints gerollt werden, demnächst eine Anlage zur Extraktion von Ölen und Wachsen. Nicht zu vergessen, der Direktvertrieb und eine Lounge für Liebhaber, die Biggio in historischen Eisenbahnwagons eingerichtet hat. 

Visionen für konservative Einwohner

Die grünen Wagone aus den 30er-Jahren erinnern an die Ursprünge Moffats als Umschlagplatz für Rinder. Kaum zu glauben, dass der bis in jüngste Vergangenheit gottverlassene Ort im 19. Jahrhundert einmal fast dreitausend Einwohner zählte und als Hauptstadt Colorados im Gespräch war.
Nun soll er wieder zum Zentrum einer Industrie werden, die den „Mile-High“-Bundesstaat im Westen der USA seit der Legalisierung von Cannabis im Jahr 2012 verändert hat.
Bei den 73 neu angesiedelten Betrieben handelt es sich laut Biggio um den größten Cannabis-Geschäftspark in den USA überhaupt. Ob das stimmt, lässt sich nur schwer überprüfen. Aber gewiss hat es der pfiffige Unternehmer verstanden, seine Vision den eher konservativen Einwohnern zu verkaufen.
Biggio überzeugte den Verwalter von Moffat, Ken Skoglund, die „Area 420“ zu entwickeln. Es entstanden neue Straßen, Bewässerungsanlagen und Elektroanschlüsse für die Cannabis-Betriebe. Die neu angesiedelten Unternehmen ließen die Steuereinnahmen sprudeln.
Im vergangenen Jahr flossen allein 400.000 Dollar die Kassen der Gemeinde. Bürgermeisterin Cassandra Foxx ist dankbar für den Wandel, der Moffat „exponentielles Wachstum“ beschert habe. Deshalb unterstützt sie den Vorstoß Biggios, den Ort nach der Quelle des neuen Wohlstands umzubenennen - Kush. 

San Luis Valley

Wie das Napa Valley 

in Kalifornien für Wein stehe, so die Marketingidee, soll das San Luis Valley mit der beliebten Cannabis-Sorte in Zusammenhang gebracht werden. Das geht selbst Verwalter Skoglund zu weit, der wie viele andere Einwohner die Cannabis-Unternehmen schätzen, aber an dem alten Namen festhalten wollen.
Dies sei man allein schon den traumatisierten Veteranen des Afghanistan-Kriegs schuldig, die nichts Positives mit „Kush“ verbinden, argumentierten Kritiker bei einer Bürgerversammlung im Juli. 

Knappes Referendum

Biggio lässt sich dadurch nicht entmutigen. „Die Opposition dagegen schwindet“, sagt er der örtlichen Zeitung. Der Justiziar Moffats habe schon einen Fahrplan vorgelegt, wie die Namensänderung zu erreichen sei.
Ein lokaler Konflikt, der im Kern für eine Geschichte steht, die auf das Jahr 2012 zurückgeht, als die Bürger Colorados bei einem Referendum mit 55 zu 45 Prozent für die Legalisierung von Cannabis stimmten. Gegen den Willen des damaligen Gouverneurs, dem Demokraten John Hickenlooper, als erster Bundesstaat in den USA und einer von zwei Staaten weltweit.
Kalifornien erst vier und New York zogen neun Jahre später mit der Legalisierung nach. In 18 Bundesstaaten und dem District of Columbia darf Marihuana heute frei konsumiert werden. In 37 Staaten geht das mit einer medizinischen Indikation. Überall sonst gibt es mehr oder weniger strikte Restriktionen, die allerdings kaum noch geahndet werden. 

Andrew Freedman schrieb 2014 Geschichte. Er war für die Umsetzung des weltweit ersten Marktes für Recreational Cannabis verantwortlich. Seitdem hat er 17 verschiedene Regierungen bei der Schaffung ihrer Cannabis-Regulierungsrahmen beraten.

2 von 3 Amerikanern für Legalisierung

Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von Gallup aus dem November vergangenen Jahres sprechen sich mehr als zwei von drei Amerikanern für eine Legalisierung. Im Unterschied zu 2012 können die Nachzügler von den Erfahrungen lernen, die der Bundesstaat bei der Überführung eines Schwarzmarktes in die Geschäftswelt gemacht hat. Inklusive des Aufbaus eines Besteuerungssystems und der Regulierung durch die Gesundheitsbehörde.
„Wir haben unsere Fehler gemacht“, räumt Andrew Freedman in den US-Medien ein, der als erster „Marihuana Zar“ Colorados vor der Mammut-Aufgabe stand, den Wählerwillen umzusetzen. „Das war ein regulatorisches Rattennest“, erinnert er sich an das Ausbalancieren der Interessen zwischen skeptischen Politikern, ehrgeizigen Unternehmern, übervorsichtigen Wissenschaftlern und ungeduldigen Aktivisten. 

Bürokratische Hürden

Es ging darum, den Anbau, die Verarbeitung und den Vertrieb zu regulieren, Steuersätze festzulegen und die Sicherheit der Produkte zu garantieren. Und das alles vor dem Hintergrund, dass auf Bundesebene Cannabis eine verbotene Substanz bleibt, die auf einer Stufe mit Heroin steht.
Bis heute können Cannabis-Unternehmen deshalb USA-weit keine Bankkonten betreiben und sind gezwungen, das gesamte Geschäft in „bar“ abzuwickeln.

Als der 19-jährige Austauschstudent Levy Tamba im April 2014 mit einer Überdosis des Cannabis-Wirkstoffs THC vom Balkon eines Hotels in Denver in den Tod stürzte, fühlte sich Freedman herausgefordert.
„Das war der schwierigste Anruf, den ich jemals erhalten hatte“, erinnert er sich an das Gespräch, in dem er von dem Unfall zehn Wochen nach dem legalen Verkaufsstart von Cannabis erfuhr. Es stellte sich heraus, dass der Student einen Keks gegessen hatte, der die sechsfache der empfohlenen Wirkstoffmenge an THC enthalten hatte.
Der Fehler bestand in der ungenügenden Etikettierung, die auch bei anderen Konsumenten zu Problemen geführt hatte. Freedmanns Team korrigierte das und gewann durch Transparenz Vertrauen zurück. Seitdem wuchs die Zahl der Konsumenten kontinuierlich. Heute gibt etwa einer von fünf Bürgern an, im zurückliegenden Monat Marihuana geraucht zu haben. Zu Beginn der Legalisierung waren es noch 13,5 Prozent. 

Cannabis Läden in Colorado, während des Lockdowns als unentbehrliches Geschäft eingestuft, waren durchgehend geöffnet.

Unentbehrlich im Lockdown

Während den Covid-Lockdowns zählten die Läden, die Cannabis-Produkte verkauften, in Colorado wie Apotheken zu den unentbehrlichen Geschäften, die geöffnet bleiben durften. 2021 überschritten die Umsätze aus dem Verkauf von Marihuana allein in dem Bundesstaat zum ersten Mal die zwei Milliarden Dollar Grenze.
Doch nicht überall lief es so rund wie in dem Rocky-Mountain-Staat. Das Gegenbeispiel in den USA ist Kalifornien, das aufgrund eines gesetzgeberischen Durcheinanders die legale Cannabis-Industrie in die Ecke gedrängt hat.
Verbote auf der lokalen Ebene hindern das Wachstum der Betriebe und sorgen dafür, dass große Teile des Marktes illegal bleiben. Abzulesen ist das an den bescheidenen Steuereinnahmen, die mit insgesamt drei Milliarden Dollar seit 2016 im Vergleich zu Colorado gering ausfallen.
Ein Hemmschuh bleibt USA-weit die Strafbarkeit von Cannabis auf Bundesebene. Vergangene Woche brachte Mehrheitsführer Chuck Schumer im Senat den lange versprochenen „Cannabis Administration and Opportunity Act“ ein, der unter anderem zu einer Entkriminalisierung von Cannabis führen und reguläre Bankgeschäfte für die Unternehmen möglich machen soll. Die Chancen für eine Mehrheit im Senat stehen schlecht, da nicht einmal alle Demokraten mit an Bord sind. 

Joe Biden bislang ablehnend

Zudem gibt es eine konkurrierende Gesetzesvorlage aus dem Repräsentantenhaus, das bereits im April den „Marijuana Opportunity, Reinvestment and Expungement Act“ beschlossen hatte. Bevor etwas Gesetzeskraft erlangen kann, müssen sich Haus und Senat auf einen gemeinsamen Text verständigen, der dann auch vom Präsidenten unterschrieben werden muss. Joe Biden hatte in der Vergangenheit eine ablehnende Haltung zu erkennen gegeben.
Dabei zeigen erste wissenschaftliche Befunde seit Beginn der Legalisierung in den USA vor zehn Jahren, dass nahezu alle Prognosen überzogen waren - im Guten wie im Schlechten.
Laut einer viel beachteten Studie des „Cato Institute“ blieb der Drogen- und Alkoholkonsum in Staaten mit Cannabis-Freigabe weitgehend unverändert. Die Befürchtung, dass Konsumenten durch Marihuana-Konsum an härtere Drogen gelangen, konnte nicht erhärtet werden. 

Mehr Konsum bei Jugendlichen, mehr Steuern als erwartet

Auch die rosigen Erwartungen in der Strafjustiz erfüllten sich nicht. Die Kriminalitätsraten sanken nur unwesentlich und auch die Kosten der Strafverfolgung blieben konstant.
Bei den Arbeitsplätzen gab es einen Zuwachs, der branchenbezogen hoch, gemessen an dem gesamten Jobmarkt aber bescheiden ausfällt. Der Fachdienst Leafly registrierte nur im vergangenen Jahr einen Zuwachs um ein Drittel auf fast 430.000 Beschäftigte in der amerikanischen Cannabis-Industrie. 

Steuereinkünfte übertrafen die Erwartungen

Je nach Bundesstaat und Produkt fällt die Besteuerung unterschiedlich aus. Zwischen zehn und zwanzig Prozent kassiert der Fiskus, wenn Joints, Haschkekse, Lollipops oder Öle legal verkauft werden. Den derzeitigen Cannabismarkt in den USA schätzen Expertinnen  auf 25 Milliarden Dollar, der bis zum Ende des Jahrzehnts auf 40 Milliarden Dollar anwachsen dürfte.
Der Gründer des Cannabis-Kollektivs „Area 420“ in Moffat, Colorado sieht sich gut positioniert, weiter zu wachsen. Wenn Mike Biggios Vision aufgeht, „werden wir ein Modell haben, das sich vervielfältigen lassen sollte“. Er sei bereits in Kontakt mit lokalen Politikern auf der Jungferninsel von St. Croix, die an einem Kollektiv nach dem Vorbild San Luis Valley interessiert seien.

Den Einstellungswandel in den USA illustriert Biggio gegenüber der „Colorado Sun“ an seiner persönlichen Lebensgeschichte. Dass er heute legal sein Geld damit verdient, wofür er in der Vergangenheit acht Jahre hinter Gitter verbüßte, sei „ziemlich cool“. Alles, was zu seinem Glück noch fehlt, sei der Beschluss der 120-Seelen-Gemeinde, sich in „Kush“ umzubenennen. 

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